Wie aus Fakten Geschichten werden

Aus Landschaftsgeschichten
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In der Naturvermittlung gibt es zahlreiche Methoden, wie man naturbezogenes Fachwissen aufbereitet den Zuhörern und Exkursionsteilnehmern weitergibt. Einige dieser Methoden setzen auf den Einbau sektoralen Wissens in Bilder und bildhafte Darstellungen. Dazu gehört auch das Geschichtenerzählen, das beim AviWiki im Mittelpunkt steht.


Was eine Geschichte von anderen Erzählformen unterscheidet

Der Erzählton und die von der Fachsprache abweichende „lockere“ Formulierung sind zwar wichtige Aspekte, machen aber noch lange keine Geschichte. Geschichtenerzählen folgt eigenen Gesetzen, die fast alle Menschen seit der Kindheit kennen, sich aber nur selten bewusst machen. Natürlich gibt es im Alltag eine Fülle an Erzählformen, die sich ähneln und ineinander übergehen. Die beiden Endglieder dieser Übergangsreihe sind einerseits der (trockene) Bericht und andererseits die gut erzählte Geschichte.

Bericht Geschichte
Chronologie eines Ereignisses (z.B. einer Exkursion) Das Ereignis selbst ist Gegenstand der Geschichte (z.B. Vorfall bei einer Exkursion)
keine Dramaturgie mehr oder weniger ausgefeilte Dramaturgie
Anfangszustand und Endzustand können gleich sein, im Laufe des Berichtes muss sich nichts „tun“ Anfangs- und Endzustand müssen sich untetrscheiden, in der Geschichte wird über eine Veränderung erzählt
emotionale Beteiligung hat keinen, oder nur geringen Stellenwert, objektiv emotionale Beteiligung hat sehr hohen Stellenwert, subjektiv
Personen, mit denen man sich identifizieren kann, haben einen geringen Stellenwert Personen (Protagonisten), mit denen man sich identifizieren kann, stehen im Mittelpunkt der Geschichte
Konzentration auf die Faktenlage Konzentration auf Erlebtes
Begebenheiten werden „abgebildet“ Begebenheiten werden inszeniert
Je geringer die Beteiligung des Erzählers ist, umso besser der Bericht Je mehr Selbsterlebtes oder Selbsterarbeitetes in die Geschichte einfließt, umso glaubwürdiger ist sie
ein Bericht kommt ohne Konflikt aus eine Geschichte braucht einen Konflikt als Erzählkern
ein Bericht hat ein gewolltes Ende (der Erzähler will nicht mehr) eine Geschichte hat ein natürliches Ende (keine und-was-war-dann-Fragen mehr)
ein Bericht kommt ohne Botschaft aus (kann sie aber haben) eine Botschaft ist für eine Geschichte essentiell
Berichtssachverhalte sind erklärungsbedürftig Erklärungen von offenen Punkten werden dem Zuhörer abverlangt, der Erzähler motiviert/leitet an

Botschaft

Von guten Geschichten werden innewohnende Botschaften erwartet. Allerdings ist eine Botschaft selbst ein komplexer Informationsblock mit verschiedenen Teilaspekten. Am häufigsten wird in einer Botschaft der Sachaspekt bedient, also ein Sachverhalt, ein spezifisches Wissen oder eine Tatsache. Eine Überbetonung dieses Teilaspektes der Botschaft birgt die Gefahr in sich die Geschichte fad werden zu lassen (Klugscheisser). Ebenfalls häufig wird in Geschichten der Apell-Aspekt betont, die sogenannte "Moral von der Geschicht'". Eine starke Betonung des Apellaspektes kann schnell zu einem moralisierenden Grundton ausarten, den kein Zuhörer will. Ein sehr wichtiger, fast immer unterrepräsentierter Aspekt ist der Selbstoffenbarungs-Aspekt. Damit ist gemeint, dass sich der Erzähler outen muss, seine fachliche, moralische und emotionale Position zweifelsfrei erkennbar sein muss. Auch hier ist die Überbetonung ein Show-Stopper. Agressive Formen des Selbstoffenbarungsaspektes (ich - meiner - mir - mich) können rasch zur Ablehnung der Geschichte führen. Der beste Ausgleich dazu ist der ebenfalls viel zu wenig eingesetzte Beziehungs-Aspekt. Die (emotionale) Einbeziehung des Zuhörers in ein Netzwerk zwischen Erzähler und Erzähltem ist ausschlaggebend für die Wirkung einer Geschichte. Eine Botschaft ohne einer solchen Veränderungsabsicht bleibt eine trockene Kernaussage.

Sachaspekte in der Geschichte

Erzählte Sachaspekte machen noch keine Geschichte, auch dann nicht, wenn sie sehr gekonnt erzählt werden. Beim Geschichtenerzählen kommt es darauf an, über eine Geschichte, die als Träger fungiert, die Sachaspekte (die Fakten) dazuzupacken. Am einfachsten geht das über Erzähldetails, die scheinbar nur redselige Zutat sind, tatsächlich aber mithelfen, eine klare bildhafte Vorstellung einer Episode in der Geschichte zu bekommen. Schwieriger (aber wirkungsvoller) ist es, den transportierten Sachverhalt (Verhalten, Aussehen, Verbreitung) zu einem (subtilen) Teil der Geschichte werden zu lassen. Wenn etwa die Gefiederfärbung essentieller Teil der Geschichte wird, kann sie auch nur vergessen werden, wenn man die gesamte Geschichte vergisst.

Weniger ist mehr. Diese abgedroschene Binsenweisheit gilt auch beim Beladen der Geschichte mit Fakten. Das Transportmittel Geschichte verträgt nur soviel Sachaspekt, wie unbeschadet mitgenommen werden kann, ohne den Verlauf der Geschichte zu stören. Falls mehr an Fakten an die Zuhörer übergeben werden soll, braucht es eine weitere Geschichte (... ich hab da nochwas ...).

Zusatzinfo

Die Sachaspekte in einer Geschichte benötigen zum genauen Verständnis meist zusätzliche Informationen, die die erzählten Fakten belegen, herleiten oder autorisieren sollen. Diese Zusatzinfos haben in der Geschichte nur bedingt etwas verloren. Es gehört zu den klassischen "dont's", eine Geschichte unmittelbar nach Abschluß zu erklären. Zusatzinfos werden erst ausgehändigt, wenn sie vom Zuhörer angefordert werden. Sie sind auch nicht wirklich Teil der Geschichte, aber wesentlicher Teil der Kommunikation zwischen Erzähler und Zuhörer. Aus diesem Grund werden die Zusatzinfos im Wiki auch als eigenes Kapitel abgehandelt.

do's and dont's

  • Die Geschichten im AviWiki sind als Erzählgrundlage für Naturvermittler gedacht, die üblicherweise im Zuge von Begehungen, Ekursionen oder geführten Wanderungen agieren. Sprechdialoge mit zwei oder sogar mehreren Personen sind daher als Geschichte wenig geeignet. Die Erzählungen sollten so konzipiert werden, dass sie von einer Person alleine erzählt werden können.
  • Normalerweise sind Geschichten in Text und Ausdrucksform sehr stark an eine bestimmte Erzählerperson angepasst. Lass dich trotzdem nicht dazu verführen, die Geschichte als "Punktation" anzulegen, die dann beim Erzählen ohnehin ausgeschmückt wird. Besser ist es, soviel Detailreichtum in die Geschichte zu integrieren, dass ein emotional nachvollziehbares Geschichten-Milieu entsteht. Es ist für einen Nacherzähler viel leichter, eine detaillierte Geschichte umzuwandeln oder gar abzuschlanken, als zu einem Geschichtengerüst Einzelheiten zu erfinden.
  • Bei guten Geschichten tut sich etwas: hier wird ein Problem bewältigt, eine Gefahr gebannt, eine ungute Situation überstanden oder sonst eine erlebbare Episode erzählt. In diesem Sinn ist die reine Darstellung eines Problemfeldes keine Geschichte, sondern bestenfalls ein Teil davon
  • Geschichten ohne klare Botschaft bleiben (möglicherweise gut gemachtes und unterhaltsames) Geplauder. Gerade bei der Botschaft kann man aber auch gewaltig überziehen. Halte daher die Botschaft subtil im Hintergrund. Bei der Geschichte soll die Handlung, die handelnden Protagonisten und die dadurch vermittelten Befindlichkeiten im Vordergrund stehen.

Literatur

Die derzeit verfügbare Literatur über Geschichtenerzählen kommt ausschließlich aus dem Marketing- und Managementbereich, wo das Storytelling in den letzten Jahren massiv eingesetzt wurde. Für die Verwendung im Naturvermittlungsbereich müssen die Inhalte entsprechend "transformiert" werden.

  • Frenzel, K., Müller, M. u. Sottong, H.: Storytelling - Das Praxisbuch, Hanser Verlag, 2006
  • Fuchs, W. T.: Warum das Gehirn Geschichten liebt, Verlag Haufe, 2009
  • Galvez, Ch.:"30 Minuten Storytelling", GABAL Verlag, 2009. Hier gibt's einen Blick ins Buch: [1]