Wer hat all diese Berge aufgetürmt?

Aus Landschaftsgeschichten
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G'schichtl

Wenn man so in den Alpen steht und auf die mächtigen Berggipfel blickt, denkt sich mancher: "Wer hat all diese Berge aus gewaltigen Gesteinsmassen hier aufgetürmt?"

Nun, eigentlich lautet die bessere Frage: "Wer hat all diese tiefen Täler aus dem emporgehobenen Gesteinspaketen herausgeschürft?"

Aber vielleicht mal ganz von Anfang an:

Die Alpen stellen eine Verdickung der Erdkruste dar, die Teil einer "Knautschzone" eines gewaltigen, sehr langsamen, aber ungeheuer kraftvollen "kontinentalen Verkehrsunfalls" ist: Afrika wandert seit vielen Jahrmillionen (anfangs lebten sogar noch die Dinosaurier!) unaufhaltsam auf den alten europäischen Kontinent zu, der davor nur aus Portugal, Spanien, Frankreich, Benelux, britischen Inseln, Deutschland, Tschechien, Polen, Skandinavien, Baltikum, Weißrussland, Ukraine und Russland bestand. Alles südlich davon ist "Knautschzone"!

Dort, wo jetzt das adriatische Meer und die Poebene liegen, war eigentlich eine alte Insel, die von Afrika vor sich her geschoben wurde und als erstes in Europa "hineinkrachte" - noch lange bevor es Menschen gab! Die Kollisionsnaht verläuft heute von der slowenischen Untersteiermark über Kärnten, Ost- und Südtirol Richtung Turin. Der zwischen dieser Insel und dem alten Europa gelegene Meeresboden (vulkanische Meeresbodengesteine und darauf Kalksteine und ähnliche Sedimente) wurde dabei gemeinsam mit den Kontinentalrändern an seinen beiden Küsten stark verfaltet, überschoben und "komprimiert".

Steinharte Gesteine verfalten? Wie soll das gehen?

Man kann das zu Hause am Esstisch prima ausprobieren: Man nehme ein dickes Tischtuch und stelle zwei Teller drauf. Diese Teller bewege man mitsamt dem darunterliegenden Tischtuch vorsichtig aufeinander zu - das Tischtuch legt sich in viele Falten und wird zuletzt zwischen den Tellern eingequetscht, ein Teil wohl unter die Teller geschoben, ein Teil darüber. Der eine Teller steht für die adriatische Platte (von Afrika nach Norden gedrückt), der andere Teller für das alte Europa (an seinem Südrand die Vogesen, der Schwarzwald und die Böhmische Masse - also z.B. Mühl- und Waldviertel). Das eingequetschte Tischtuch steht für die Alpen, die sich zum Teil aufgewölbt haben, zum Teil unter ihrer Eigenlast etwas in den (unter der Erdkruste liegenden) Erdmantel eingesunken sind. Man spricht mit dem Bild eines sich verformenden Textils tatsächlich von einem Faltengebirge.

Die Aufwölbung der Alpen beträgt, wenn man -zig Millionen Jahre zusammenrechnet, stellenweise fast 10.000 Höhenmeter! Warum die Alpen heute dennoch nicht höher als der Himalaya sind, ist leicht erklärt: Regen und Schnee haben sich zu unzähligen Flüssen (und zeitweise auch Gletschern) vereinigt, die die dicke Aufwölbung fast so schnell zerfurcht und zerfressen haben, wie sie sich aufgewölbt hat (man nennt diesen Vorgang Erosion). Über den Hohen Tauern zum Beispiel "fehlen" bereits vielleicht 5.000 Höhenmeter, wie Wissenschafter aus den Spuren der ungeheuren ehemaligen Auflast in jenen Mineralen herauslesen können, die die Gesteine der Zentralalpen aufbauen. Die heutigen Gipfel sind eigentlich nur mehr die - zweifellos imposanten - "Ruinen" einer gewaltigen Gebirgsmasse, an der unaufhaltsam Wind und Wetter nagen. Auch immer wieder auftretende Bergstürze und Hangrutsche legen dafür Zeugnis ab - selbst die Jahre der Berge sind gezählt!

Die Flüsse (und zeitweise auch Gletscher) schütteten und schütten weiter diese gewaltigen Mengen von Schotter und Sand in die Mulde zwischen Alpen und "Alt-Europa" - das ist das heutige Alpenvorland, wo dieser Schutt tausende Meter dick gestapelt ist, während z.B. die Böhmische Masse darunter nach Süden abtaucht, um tief unter den herangeschobenen Alpen zu verschwinden. In weiterer Folge transportierten die Ur-Donau und Ur-Drau dieses mittlerweile zu Sand zerkleinerte Material nach Ungarn und Serbien beziehungsweise der Ur-Rhein Richtung Nordsee weiter. Auch die Flüsse an der Alpensüdseite waren nicht faul und schütteten ähnliche Mengen von Schotter und Sand auf die ehemalige Insel, die nun unter der Auflast tief versunken ist (Poebene) und sogar vom Meer überflutet wurde (Adria).

Und wie geht's weiter?

Nun, Afrika ist noch immer in Fahrt! Eine Menge anderer Inseln wurden mittlerweile bereits an das alte Europa herangedrückt und "angeschweißt", dazu gehören die heutige pannonische Tiefebene und der komplette Balkan samt Griechenland - zwischen diesen ehemaligen Inseln entstanden weitere Gebirge wie der italienische Apennin, das Dinarische Gebirge (samt seiner südlichen Fortsetzung) in Kroatien, Bosnien, Serbien, Montenegro, Albanien, Griechenland und weiters das bulgarische Balkangebirge und die Karpaten als sich lange fragezeichenförmig hinschlängelnde Fortsetzung der Alpen nördlich und östlich des Blocks der pannonischen Tiefebene.

Weitere Inseln werden folgen - die Balearen, Korsika, Sardinien, Sizilien, ganz Italien, Kreta, alles wird vom heranrückenden Afrika auf Europa aufgeschoben werden zu einem heute noch unvorstellbar großen und vielleicht noch wesentlich höheren Gebirge - je nachdem, ob die Erosion oder die Gebirgshebung schneller ist. Aber keine Sorge - das dauert noch -zig Millionen Jahre! Ob es dann noch die Nachfahren der Menschen gibt?

In noch viel längerer Zeit - vielleicht 100 Millionen Jahre - könnten die ganzen Berge zwischen der heutigen Sahara und dem heutigen Skandinavien abgetragen und die Landschaft flach wie ein Brett sein, oder höchstens noch niedrige Hügel zu erkennen sein, wo einst Mt.Blanc und Großglockner standen. Falls nicht durch erneute Kontinentalverschiebungen eine weitere Gebirgsbildung beginnt. Aber wer weiß das schon?

Botschaft

  • Die Berge der Alpen sind eigentlich nur die Reste einer riesigen Gebirgsmasse, die von Niederschlag und Flüssen zernagt wird - es fehlen schon tausende Meter mächtiges Gestein, das als Fluss-Sand seit langem Richtung Meer unterwegs ist.
  • Landschaft entwickelt sich in unvorstellbar langen Zeiträumen und mit unvorstellbar großen Naturgewalten, der Mensch ist nur ameisengroßer Zaungast während eines kurzen kosmischen Augenzwinkerns.

Zielgruppe

ab 14 Jahre

Zusatzinfo

Vereinfachte geologische Karte der Alpen

Der ehemalige Meeresboden (Penninische Faltendecke) zwischen den beiden kontinentalen Platten liegt im Bereich des heutigen Österreichs überwiegend tief unter den Ostalpen begraben, lediglich in Form einiger "Fenster" wurde er von der Erosion freigelegt: Tauernfenster (östliches Tirol, südliches Salzburg, nordwestliches Kärnten), Engadiner Fenster (Tiroler und schweizerisches Inntal oberhalb Landeck), Rechnitzer Fenster (Günser Gebirge zwischen Mittel- und Südburgenland). Die ehemaligen vulkanischen Meeresbodengesteine wurden von gewaltiger Auflast und Hitze zu Grüngesteinen umgewandelt (z.B. Großglockner), die darauf abgelagerten kalkigen Tiefseesedimente zu Kalkphylliten und Bündner Schiefern (man nennt diesen Umkristallisationsprozess Metamorphose). Diese sind eigentlich deutlich jünger als z.B. der Dachsteinkalk, die Bezeichnung "Urgestein" ist daher irreführend und sollte vermieden werden.

Ein Teil des Tiefseebodens wurde von dem Flüssen der herangeschobenen Ostalpenstirn mit Sanden aufgefüllt, die von den Ostalpen immer weiter nach Norden vorgepresst und vom übrigen Penninikum abgequetscht wurden, es handelt sich nun um die Flyschzone, die vorwiegend aus Sandstein (ehemaligen Tiefseesanden) besteht, der zum Rutschen (schwyzerdütsch flyschen) neigt und daher eher flache Landformen aufweist. Sie ist in Ober- und Niederösterreich als langer und schmaler (westlich des Traisentals abschnittsweise nur eine Bergkette breiter) "Wulst" zwischen Kalkalpen und Alpenvorland erhalten und wird zum Penninikum im weitere Sinne gerechnet.

Der auf diesem "Penninikum" lagernde Ostalpine Deckenstapel entstammt eigentlich vollständig dem Nordrand der ehemaligen "adriatischen" Kontinentalplatte, der über die Kollisionsnaht ("Periadriatische Naht") hinweggeschoben wurde. Er besteht zu unterst aus alten Gneisen und Glimmerschiefern (heute vor allem in den Zentralalpen liegend) mit stellenweise darauf liegenden relativ alten, schwach metamorphen schiefrigen Gesteinen und alten Kalksteinen (heute z.B. Grauwackenzone, Grazer Bergland, östliche Nockberge). Zu oberst lagen ursprünglich auch noch vor der alpinen Gebirgsbildung abgelagerte Flachwasserkalke und -dolomite, die im Zuge der Ost-West-gestreckten Hochwölbung des Penninikums nach Norden abgeglitten sind (Nördliche Kalkalpen, heute z.B. Lechtaler Alpen, Wetterstein, Hochkönig, Dachstein, Hochschwab, Ötscher, Schneeberg). Einige Anteile glitten hingegen auch nach Süden ab (Südliche Kalkalpen, heute z.B. Lienzer Dolomiten, Dobratsch, Nordkette der Karawanken).

Die südlich der Periadriatischen Naht verbliebenen und nur wenig verfalteten Anteile der "adriatischen" Kontinentalplatte heißen Südalpen, sie bauen z.B. die Südkette der Karawanken in Kärnten, die Julischen Alpen in Slowenien und Norditalien, die Karnischen Alpen, die Dolomiten und die norditalienischen Brenta-, Presanella- und Adamellogruppen auf. Ihre Gesteine sind denen der Nördlichen und Südlichen Kalkalpen vergleichbar, mit Ausnahme der Karnischen Alpen (ähnlich dem Grazer Bergland) und der Presanella- und Adamellogruppen.

Die Periadriatische Naht selbst ist in der kärntnerischen und osttirolerischen Landschaft als fast schnurgerade Linie von Eisenkappel über Zell-Pfarre, Faak, Arnoldstein, das gesamte Gail- und Lesachtal und über das Pustertal nach Südtirol zu verfolgen. Entlang von ihr sind während der Alpenbildung abschnittsweise heiße Gesteinsschmelzen (Magma) hochgedrungen, die nun erstarrt als Granite und ähnliche Tiefengesteine - mittlerweile von der Erosion freigelegt - lokal anzutreffen sind (z.B. Osttiroler Defreggental).

In der Schweiz, dem nordwestlichen Italien und in Frankreich sind die Alpen etwas anders aufgebaut, das sprengt hier den Rahmen - nur so viel sei verraten: die aus Tauern-, Engadiner und Rechnitzer Fenster bekannten Penninischen Decken tauchen dort unter dem fast vollständig wegerodierten Ostalpin wieder auf (z.B. Graubünden, Mte.Rosa), dazu gesellen sich nördlich anschließend die Zentralmassive (Gotthard-, Aare-, Mt.Blanc-Massiv) und schließlich die Helvetischen Decken, die jedoch östlich von Vorarlberg ebenso fast gänzlich unter das Ostalpin abtauchen. Wie der Name schon sagt, fehlt das Ostalpin in den Westalpen nahezu, prominente Ausnahmen sind das Matterhorn und die Dent Blanche, die als letzte "kleiner Reste" auf dem Penninikum der Walliser Alpen auflagern.

Eine kleine Anmerkung zum Ausblick in die ferne Zukunft: Der das Ende der Dinosaurier und Ammoniten besiegelnde Meteoriteneinschlag im heutigen Yucatán (Mexiko) vor 65 Millionen Jahren hinterließ ja an vielen Orten rund um den Erdball eine charakterische iridiumhältige Grenzschicht in der Gesteinsabfolge, die sogenannte K-T-Grenze (Kreidezeit-Tertiärzeit). Sie markiert eine möglicherweise jahrzehnte- oder jahrhundertelange "Todeszone", verursacht durch den Dauerwinter aufgrund der vom Einschlag hochgewirbelten und (von den in Yucatán getroffenen Gipslagerstätten) schwefelsauren Staubwolken, die die Sonne verfinsterten. Ob allfällige spätere intelligente Lebewesen in vielen Millionen von Jahren auch eine merkwürdige Grenzschicht finden werden, die das industrialisierte Menschenzeitalter markiert? Woran werden sie die Schicht erkennen? Plutonium? Kunststoff? Quecksilber, Cadmium und Blei? Aussterben abertausender Tier- und Pflanzenarten? Plötzliche Überflutungen aufgrund des vollständigen Abschmelzens des antarktischen Eisschildes? Wir wollen das Beste hoffen!

Quellen