Warum der Zaunkönig der Bachstelze sein Schwanzerl borgte

Aus Landschaftsgeschichten
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Eine Bachstelze mit ihrem langen Schwanz und ihrer weißen Banditenmaske


G’schichtl

Die grau-schwarz-weiße Bachstelze war ein eitler Vogel. Allzu gern blickte sie in das glitzernde Wasser von Lacken, Bächen oder Flüssen, um ihr Spiegelbild zu betrachten. Eines Tages wurde sie zur Hochzeit der Lerchen eingeladen. Als sie die Nachricht ereilte, lief sie zur nächsten Lacke, die sich beim letzten Regen gebildet hatte, und sah wieder ihr Spiegelbild an. Eitel wie sie war, war sie mit ihrem Aussehen unzufrieden. Damals hatte sie einen kurzen Schwanz, der ihr eine kugelige Körperform verlieh. Damit würde sie unter all den bunten Blaumeisen und gelben Pirolen nicht auffallen! Da kam ihr eine Idee. Die Bachstelze stolzierte zu ihrem Freund, dem Zaunkönig. Der kleine, braune Vogel hatte einen sehr langen Schwanz, und genau den wollte sich die Bachstelze für die Hochzeit ausborgen. Der Zaunkönig willigte ein und borgte seiner Freundin den Schwanz. Nun hatte sie einen langen Schwanz und sie war glücklich, denn nun hatte sie einen wunderschönen Federnschmuck und verbrachte einen großartigen Tag auf der Hochzeit der Lerchen. Als der Zeitpunkt gekommen war, die geborgten Federn zurückzugeben, wollte die Bachstelze ihren neuen Schwanz aber nicht mehr zurückgeben. Der Zaunkönig fragte nach seinem Schwanz, aber die Bachstelze stellte sich taub. Zu schön waren die Federn! Also flog sie immer ein Stückchen von ihrem Freund weg, landete und wippte mit dem Schwanz, um sich zu vergewissern, ob er denn noch da sei.

Auch heute noch wippt die Bachstelze mit dem langen Schwanz. Wer weiß, vielleicht hat sie ihre diebische List schon länger geplant, denn auch ihre weiße Banditenmaske trägt sie noch heute im Gesicht.

Zielgruppe

Kinder, Erwachsene

Zusatz-Info

Die Bachstelze (Motacilla alba) ist in Österreich ein häufiger Brutvogel und oft in Gewässernähe zu finden, aber nicht an diesen Lebensraum gebunden. Sie brütet in offenen Kulturlandschaften.

Quelle

nacherzählt von Dagmar Wallner

verfasst von Christina Nagl

Archiva din Iaşi 8 (1897), 249.