Geschichten aus der Losenegg

Aus Landschaftsgeschichten
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Alte Fotos erzählen Geschichten von früher

An einem kalten Jännernachmittag bin ich die verschneite Straße hinunter zu unseren Nachbarn gegangen, der scharfe Nordostwind hat seinen Weg zwischen Haube und Kapuze hineingefunden. Nomalerweise gehe ich oberhalb der Straße entlang des Rains hinunter, aber in den vergangenen Tagen hat es einen halben Meter Neuschnee gegeben und an vielen Stellen ist der Schnee vom Sturm tiefgründig angeweht worden. Seit einem guten Jahr lebe ich nun hier in der Losenegg auf 770 m Seehöhe, am südlichen Rand des Weinsberger Waldes, zu Füßen des Burgsteinbergs.

Ich bin eine „Zuagroaste“ aus der Stadt, wenn es auch nur eine Kleinstadt war. Sie sind die Alteingesessenen, die uns mit großer Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft empfangen haben. Gemeinsam haben wir die Großfamilie mit vier Kindern – meine leben in der Großstadt und kommen oft und gerne zu uns herauf - und die Liebe zu dieser herbschönen Gegend, in der sich Raues und Sanftgerundetes in der Landschaft begegnen, und wo sich Hitze und Kälte oft schon innerhalb eines Tages und einer Nacht abwechseln können, ganz zu schweigen vom Lauf der Jahreszeiten.

Vor 80 Jahren: das alte Haus

Das Haus Hinterberger ist ein Bergbauernhof, der höchstgelegene hier in der Losenegg, gute zwei Kilometer nördlich von St. Oswald. Das stattliche Anwesen liegt an der Landesstraße nach Dorfstetten an einem sonnigen, nach Südwesten ausgerichteten Hang, umgeben von Grünland und dahinter Wald, der hier in den letzten Jahrzehnten immer näher an die Höfe herangerückt ist. Einen knappen halben Kilometer weiter, die Straße hinauf, gibt es noch zwei Häuser – eines davon ist unseres – dann kilometerweit nur Wald. Bauer Leopold, seine Frau Eva, die Altbauern Hans und Marianne und die vier Kinder machen schon eine beachtliche Großfamillie aus, mit Besuch von Freunden und Verwandten füllt sich das Haus laufend noch mehr. Seit 25 Jahren betreiben sie eine Nebenerwerbslandwirtschaft, derzeit mit Mutterkuhhaltung, die nicht viel abwirft, daher wird der Zuverdienst dringend benötigt. Die steilen Wiesen rundherum befinden sich nicht gerade in einer Gunstlage, höchstens dreimal im Jahr wird gemäht – im Yspertal dagegen fünf Mal. Heute nachmittag sitzen wir in der warmen Wohnküche, alle Erwachsenen sind um mich versammelt und warten gespannt, was ich denn von ihnen wissen will. Ich erzähle kurz von dem Projekt „Landschaft verstehen“ und frage, ob es alte Fotos gibt. Tatsächlich hat die Altbäurin gleich welche bei der Hand, die mich faszinieren. Da gibt es ein Bild aus der Mitte der Dreißigerjahre, auf dem das alte Hinterbergerhaus vor 80 Jahren zu sehen ist: die Eltern und Großeltern des Altbauern stehen im Sonntagsgewand vor einem niedrigen strohgedeckten Gebäude, der Bruder des Vaters hält ein paar Schritte entfernt die beiden Ochsen. Waren sie auf dem Weg zur Sonntagsmesse? Das jetzige einstöckige Wohngebäude wurde Ende der 70er-Jahre an der selben Stelle neu errichtet.

Vor 50 Jahren: das neue Roß

Ein Foto aus dem Frühjahr 1965 zeigt den Altbauern Hans als jungen Mann mit einem Roß am Halfter, er und ein anderer Mann stehen im Märzschnee vor dem Bauernhaus. Die Geschichte dazu ist, dass die hofeigenen Ochsen im Jahr zuvor an TBC erkrankt waren und sie so die Zugtiere verloren hatten. Ein Bauer aus Ybbs hat sein Pferd verkauft, weil er einen Traktor angeschafft hat. Der Braune wurde von den zwei Männern zu Fuß von Ybbs heraufgebracht. Seit 1961 hat es zwar schon einen Traktor am Hof gegeben, einen Steyr 15. Johann kann sich noch genau erinnern, wie der Motor getuckert hat! Das Roß wurde trotzdem dringend gebraucht.

Hans und Marianne Schopf haben 1966 geheiratet, drei Söhne sind auf dem Hof aufgewachsen. Im vergangenen Spätherbst wurde die Goldene Hochzeit gefeiert. Ich frage die Altbäuerin, was damals auf den Feldern angebaut worden ist: Korn (Roggen) als Brotgetreide und Habern (Hafer), Krautruam und Burgunderruam (Futterrüben) für das Vieh, Erdäpfel und Kraut für die Leut. Woaz (Weizen) ist hier heroben nie angebaut worden, Gerste nur versuchsweise. Das Sauerkraut wurde in großen Fässern eingestampft. Marianne Schopf hat von Mitte der 60er Jahre an dreißig Jahre lang von vier bis sechs Milchkühen Milch geliefert, gebuttert hat sie bis 2013. Schweine und Hühner für den Eigenbedarf an Fleisch und Eiern gibt es bis heute am Hof. Heute gibt es bis auf den Erdäpfel- und Gemüseacker keinen Feldbau mehr, das Getreide wurde schon vor längerem aufgegeben und die Flächen in Grünland umgewidmet.

Vor bald 40 Jahren: Heimoch´n auf der Häuslwies´n

Wir betrachten drei Farbfotos aus den späten 70er-Jahren: eines zeigt Marianne Schopf und ihren Schwiegervater mit den langen Rechen beim Heumachen auf der steilen Häuslwies´n – das ist die Wiese Richtung Losenegger Bach hinunter und herauf zu uns. Im Hintergrund sieht man auf diesem Bild das neugebaute, noch unverputzte Bauernhaus. Ein zweites Foto zeigt Hans, der lachend die sauber gerechte steile Wiese heraufkommt, seine durchnässte Jacke hat er zum Trocknen oben auf dem Rechen wie eine Fahne gehisst. Auf einem weiteren Foto von diesem Tag sieht man die früheren Besitzer unseres Hauses, Franz und Maria Haider, die damals immer beim Heumachen mitgeholfen haben. Sie stehen vor ihrem alten Kreuzstöckl, das später dem Straßenbau weichen musste. Im Hintergrund, oberhalb des Hauses in Richtung Wald, sieht man sehr gut die Restlinge und rechts davon das Kornfeld, wo jetzt Grünland ist, und links eine Wiese mit Obstbäumen, wo jetzt Jungwald wächst. Diese Restlinge gibt es immer noch, und dazu eine eigene Anekdote, aber das ist eine andere Geschichte.

Vor gut 30 Jahren: Straßenbau

Im St. Oswalder Ortskalender für das heurige Jahr 2017 findet sich beim Monat April eine alte Ansichtskarte aus der Losenegg, man erkennt darauf unter anderem die alte Straße recht gut. Leopold erzählt mir vom Straßenbau: die Landesstraße wurde in ihrem heutigen Verlauf erst gegen Mitte der 80er-Jahre gebaut, davor gab es noch keine asphaltierte Straße von St. Oswald nach Dorfstetten. Die alte Straße ist unterhalb vom Hinterberger, näher am Losenegger Bach verlaufen und war für LKW und Holztransporter gar nicht oder schlecht zu befahren, sie war viel zu kurvig und zu steil. Beim genauen Hinsehen kann man sie von oben noch erkennen. Beim Bau der neuen Straße, die nun oberhalb des Hinterberger-Hofes verläuft, wurde auch gleich die Landschaft mit verändert: eine Menge von Kobln (überwachsene Steinhaufen und Granitrestlinge in der Wiese) sind vom Bagger weggeräumt und gleich für die Trassierung verwendet worden. Das war damals ganz im Sinn der Bauern, die ihre Wiesen und Felder dann leichter maschinell bearbeiten konnten. In den 70er-Jahren hat man in der Gegend viel Grünland aufgeforstet. Weideflächen, die man nicht mehr bearbeiten wollte oder konnte, die unrentabel waren, sind mittlerweile zu 40jährigen Fichtenbeständen geworden. Auch einige Wacholderstauden auf oder neben Granitrrestlingen erzählen von der alten Weidewirtschaft. Ein sehr alter und mächtiger Wacholder hat es mir besonders angetan, weil er sich einen so schönen Platz bei einem Granitblock mitten auf der steilsten Wiese der Hinterberger erobert hat. Leopold erzählt mir, dass es auch oberhalb meines Hauses bis in die 70er-Jahre Hausäcker gegeben hat, dann wurden sie aufgelassen und aufgeforstet.

Vor elf Jahren: Eisdruck

Wir sehen aus dem Küchenfenster auf die Winterlandschaft: Leopold erinnert sich, dass sich gerade auch ein denkwürdiges Schadensereignis zum elften Mal jährt: zu Weihnachten 2006 hat es einen extremen Eis- und Schneedruck gegeben, am 24. Dezember hat im Wald ein lautes Krachen begonnen, überall sind die Wipfel gebrochen, das hat zwei Wochen lang bis zu Heilig-Drei-König gedauert. Dann ist Leopold mit seinem Bruder nachschauen gegangen: überall ist das Holz kreuz und quer gelegen. Alleine aus seinem Wald hat er 90 Meter Schleifholz herausgeholt.

Später wandere ich nach Hause und blicke hinauf zu meinem Haus, das vom Waldrand herunterschaut. Die Sonne wird bald untergehen und als ich mich umdrehe, leuchtet der verschneite Wald im Osten hinter dem Hinterbergerhof im Abendlicht noch einmal rötlich auf.

Zielgruppe

alle an der Gegend interessierten Menschen

Botschaft

Aus den alten Fotos und den zugehörigen Geschichten der Bauernfamilie lässt sich viel über die Veränderungen herauslesen, welche die letzten drei Generationen betroffen haben. Die Bewirtschaftungsweise hat sich grundlegend geändert, ebenso die Lebensumstände. Parallel dazu hat sich die Landschaft gewandelt: der Wald- und auch der Grünlandanteil sind stark gestiegen, viele Restlinge und Stoakobln (Steinhaufen) sind aus den Wiesen verschwunden.

Zusatzinformation

In diesen Waldgebieten gibt es große Mengen an Heidelbeersträuchern, die von der früheren Nutzung als Weideflächen herrühren.

Zitat von Hans Pichler: "Vor ca 60 Jahren fuhren Heidelbeer-Pflücker mit den Fahrrädern aus der Umgebung von Amstetten mit zwei Eimern in der Frühe in die Losenegg Pireitsteiner Heidelbeer [Hoawa Broka] und am Nachmittag wieder zurück, wurde mir aus der Amstettner Gegend vor ca 45 Jahren erzählt."

Quelle

Familie Schopf aus der Losenegg, Hausname: Hinterberger, Gemeinde St. Oswald im Yspertal

verfasst von Gerda Wolf