Erdaufführen

Aus Landschaftsgeschichten
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Um ebene Ackerflächen und fruchbare Böden zu erhalten, wurde in der bergigen Ötscherregion hart gearbeitet. Foto: Christina Nagl


G´schichtl

In Reinsberg lebte von 1855 bis 1916 ein Bauer in den Nördlichen Kalkalpen. Er liebte das Schreiben und führte – für Bauern damals völlig ungewöhnlich – ein eigenes Tagebuch. Neben Tätigkeiten, die heutigen Bauern nach wie vor geläufig sind, tauchen auch immer wieder Begriffe auf, die - viele Generationen später – völlig fremd anmuten. Von einer solchen „Nebensächlichkeit“ soll nun berichtet werden:

1855 geboren, wurde Leopold Daurer am 13. Juni 1868 im Alter von knapp 13 Jahren aus der Volksschule entlassen. Ab hier beginnen seine Aufzeichnungen. Schon einen Tag danach, am 14. Juni 1868 wurde ihm, seinen Aufzeichnungen zufolge, das bäuerliche Arbeitsjoch aufgebürdet! Erdaufführen – mittels Seil und Scheibe! Als Kommentar vermerkt er: „Es wird wohl ziemlich schwer werden, den bisher waren mir Bücher lieber als jede andere Beschäftigung, doch es wird sich mit Gottes Hilfe machen. Es war ein langer, heißer Tag.“

Doch wozu diente diese seine erste bäuerliche Tätigkeit, die heute kaum noch ein Bauer kennt? Sie taucht regelmäßig auf, meist ab dem Sommer, immer wieder einmal in einem Nebensatz! Schweißtreibend und öd muss die Arbeit gewesen sein, und offensichtlich auch nicht ganz ungefährlich. Im nächsten Jahr schon hat sich der Teenager beim Sturz mit dem Erdkarren wörtlich „den linken Arm ober dem Ellbogen gebrochen. Er war gräulich zerschmettert, der Schmerz sehr groß“. Die folgende Nacht bezeichnete er als Schmerzensnacht: „Als der Arm angeschwollen war, rief ich wohl hundertmal: Wär ich nicht aufgesessen, könnt ich schon schlafen. So weh hat mir noch nichts getan! Ach, die zu späte Reue!“

Zielgruppe

Erwachsene

Broschüre: "ab 14 Jahren, landwirtschaftliche Vorbildung"

Anwendung: Sommer

Botschaft

Früher gab es auch in den Kalkalpen zahlreiche Ackerflächen, sie deckten den Eigenbedarf an „Korn“ (Roggen), das mit wasserbetriebenen Mühlen an Bächen zu Mehl gemahlen und zu Brot gebacken wurde. Man kann diese ehemaligen Ackerflächen heute noch in der Landschaft an „Geländestufen“ erkennen. Das meist steile Gelände wurde mit Pflug und Ochse hangparallel, oben beginnend nach unten hin umgeackert. Am unteren Ende des Ackers sammelte sich somit Ackerscholle um Ackerscholle. Im hangaufwärtigen Teil der Fläche trat beim Ackern dann bald der blanke Fels zutage, diese „Flachgründigkeit“ führte zu deutlichen Mindererträgen! Um die Fruchtbarkeit zu erhalten, wurden "händisch", Schaufel für Schaufel, Erde vom Unterhang in eine Holzkiste (Erdkarren) gefasst und diese mit Seil und Scheibe (Seilzug) und wohl mithilfe eines Ochsen wieder nach oben geschafft. Dieser unglaubliche Aufwand wurde getrieben, um die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten.

Broschüre:

Heutzutage erinnern uns "Geländestufen" an die ehemaligen Ackerflächen, die den Eigenbedarf an "Korn" (Roggen) der Bauernfamilien deckten. Das steile Gelände wurde mit Pflug und Ochse hangparalell umgeackert. Hangabwärts bildeten sich Ackerschollen, oben verringerte sich die fruchtbare Erde. Händisch wurde Erde wieder nach oben befördert, um die Bodenfruchtbarkeit erhalten!

Zusatz-Info

Broschüre:

Angesichts des gewaltigen Aufwandes, der früher getrieben wurde, um die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten, mutet es fast unglaublich an, wenn hierzulande 150 Jahre danach etwa 20 ha Ackerboden pro Tag bedenkenlos verbaut werden! Darunter oft bester Ackerboden im begünstigten Flachland.

Im alpinen Raum sind die Ackerflächen mittlerweile längst aus Rentabilitätsgründen aufgegeben worden. In der offenen Landschaft kann man aber noch die ehemaligen Ackerraine in Form von Geländestufen erkennen.


Geackert wurde in den Kalkalpen vorrangig auf der geologischen Formation der „Lunzer Schichten“, das sind Sand- und Tonstein-Schichten die sich im Lauf von Jahrtausenden durch Verwitterung in ausgesprochen gute und ackerfähige Böden verwandeln. Bei einer Autofahrt durch das Ötschergebiet mit der geologischen Karte GÖK 50 „Mariazell“ ist das Auftauchen von Grünlandzügen im Waldland meist an das Vorkommen von „Lunzer Schichten“ gebunden.

Tagebuch Umschlag.jpg

Quelle

Tagebücher von Leopold Daurer (14. Juli 1855 – 2. Mai 1916) Reithbauer in Reinsberg, Robitzboden 7

Als Buch im Eigenverlag 2013, von Franz Höbarth, Oberndorf an der Melk

Verfasst von Gerald Pfiffinger