Der gezogene Apfelstrudel von Wienerbruck

Aus Landschaftsgeschichten
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Blick vom Lassing-Stausee über das flache Wienerbruck / Saugraben ("Füllung") auf Hocheck (hinten Mitte), Bichler Alpe und Alpl (rechts) ("aufgerissener Teig")
Schematisches geologisches Profil Wienerbruck

G´schichtl

Eine Mostviertler Spezialität ist der „Gezogene Apfelstrudel“. Noch heute wird der Teig wie zu Großmutters Zeiten hauchdünn ausgezogen, bis er so durchsichtig ist, dass man eine darunter liegende Zeitung gut lesen kann. Dann wird der Teig mit Butterbrösel, Apfelscheiben, Zimt, Zucker, Walnüssen und Rosinen belegt und eingerollt. Dabei passiert es schon mal, dass der Teig reißt und Löcher entstehen, die den Blick auf Äpfel und Rosinen freigeben.

Bei der Landschaftsgestaltung in Wienerbruck und Joachimsberg ging es Mutter Natur nicht anders wie Großmutter beim gezogenen Apfelstrudel: Ein Loch in den Kalkschichten gibt den Blick frei auf darunter liegende Gesteinsschichten. Diese bestehen – analog den Apfelstücken – aus „weichen“, sandig-lehmigen Gesteinen, die daher sanfte Landschaftsformen inmitten der schroffen Kalkalpen bilden. Die saftigen Rosinen im Apfelstrudel werden durch zahlreiche Quellen symbolisiert.

Zielgruppe

ab 14 Jahren

Anwendung: ganzjährig

Botschaft

Die "weiche" Landschaft in Wienerbruck unterscheidet sich völlig von den umliegenden waldreichen und schroffen Kalkbergen.

Zusatz-Info

Die Kalkalpen-Gesteine sind durch die Gebirgsbildung verfaltet und durch Deckenüberschiebungen "gestapelt" worden. Zur Ötscherdecke gehören der Ötscher, die Ötschergräben und die Berge um Josefsberg. Nördlich davon liegen die Lunzer und Reisalpen-Decke, die den Hochstadelberg und das Hennesteck aufbauen.

Dazwischen legte die Erosion der Ötscherdecke die Basisgesteine der Kalkalpen frei, die zuvor auf die Kalksteine der Lunzer Decke aufgeschoben wurden. Diese Werfener Schichten bestehen aus leicht verwitterbaren rot-violetten und graugrünen Sandsteinen und Tonschiefern, die auch den Boden färben. Die Landschaft um Wienerbruck wird daher geprägt von sanften flachen Landschaftsformen ohne Felsen. Vereinzelte Steilhänge sind instabil und rutschfreudig. Außerdem treten auf den wasserundurchlässigen Werfener Schichten zahlreiche Quellen und Bäche zutage, die in der Karstlandschaft der Kalkalpen oft fehlen. Auf den Gesteinen konnten tiefgründige Böden entstehen, die sich gut für Wiesennutzung eignen; die Landschaft ist daher offen und waldarm.

Zu den Äpfeln (Gesteinen): Sandstein ist zu Stein gewordener Sand, wie er z.B. in den Sandwüsten der Erde oder an Sandbänken in Flüssen oder Meeren vorkommt. Sandstein fühlt sich rau an und wurde früher als Mühl- und Wetzstein verwendet. Feinkörnig-glatter Tonschiefer ist versteinerter Ton oder Schlamm, wie er sich zum Beispiel in Seen ablagert.

Zu den Rosinen (Quellen): Die Werfener Schichten sind wasserstauend und bilden wichtige Quellhorizonte in den Kalkalpen. Regenwasser, das in der Karstlandschaft in Form von Dolinen und Höhlen versickert, bahnt sich seinen Weg durch das Kalkgebirge wie durch einen „Schweizer Käse“. Auf den Werfener Schichten wird es gestaut und tritt in wasserreichen Quellen zutage. Von wenigen solchen Quellen wird der Großteil der Stadt Wien mit Quellwasser aus den Kalkalpen versorgt.

Hochlagenobst: Zu einem Apfelstrudel gehören Äpfel. Diese werden als „Hochlagenobst“ in der Region kultiviert. Es handelt sich dabei um dieselben Sorten, die auch im Flachland kultiviert werden. Durch gezielte Ausnutzung des Mikroklimas kann man sie auch auf 1.000 m Höhe noch zur Erntereife bringen. Die Äpfel bleiben dennoch deutlich kleiner als ihre „Flachland-Verwandten“.


Die Entstehungsgeschichte der Werfener Schichten:

Die Werfener Schichten entstanden vor ca. 250 Mio Jahren und stellen im Prinzip das zerbröselte Verwitterungsmaterial des einst riesigen Variszischen Gebirges dar, von dem der letzte Rest im Mühl- und Waldviertel als Rumpfgebirge in Erscheinung tritt. Das Material sammelte sich in einer riesigen Wüste ähnlich der heutigen Sahara und wurde in ein flaches Meer geweht bzw. gespült. Dieses Gebirge war entstanden, als die Kontinent-Platten der Erde zu dem riesigen Kontinent namens Pangäa zusammenkrachten und dabei ein riesiges Gebirge – ähnlich dem Himalaya – aufgeschoben wurde. Langsam überflutete das Meer dann die Wüste, sodass sich die in den Kalkalpen besser bekannten Kalksteine (z.B. Ötscher) und Dolomite (z.B. Ötschergräben) darauf ablagerten. Als sich die Kontinente wieder auseinander bewegten, waren Nord- und Südamerika, Afrika und Europa geformt. Im Zuge der Alpenbildung wurden die südlich liegende Ötscher-Decke über die nördlich liegenden Lunzer und Reisalpen-Decken überschoben. An ihrer Grenze liegen die Werfener Schichten, die von der Ötscher-Decke bei der Überschiebung der Lunzer und Reisalpen-Decken als "Gleitmittel" dienten. Ausgedehnte Vorkommen befinden sich in der Umgebung von Werfen im Salzburger Pongau, sie gaben den Schichten ihren Namen.


Für Broschüre:

  • Die Kalkalpen-Gesteine sind durch die Gebirgsbildung verfaltet und durch Deckenüberschiebungen "gestapelt" worden. Zur Ötscherdecke gehören der Ötscher, die Ötschergräben und die Berge um Josefsberg. Nördlich davon liegen die Lunzer und Reisalpen-Decke, die den Hochstadelberg und das Hennesteck aufbauen.
  • Dazwischen legte die Erosion der Ötscherdecke die Basisgesteine der Kalkalpen frei: die wasserdichten und leicht verwitterbaren Werfener Schichten („Apfel-Fülle“). Um Wienerbruck ist die Landschaft daher sanft und flach. Außerdem treten hier zahlreiche Quellen und Bäche zutage („Rosinen“). Die tiefgründigen Böden eignen sich gut für Wiesennutzung, die Landschaft ist offen und waldarm.
  • Die für unseren Apfelstrudel verwendeten Äpfel werden hier als „Hochlagenobst“ kultiviert. Durch gezielte Ausnutzung des Mikroklimas kann man hier auch Flachlandsorten selbst auf 1.000 m Höhe noch zur Erntereife bringen, die Äpfel bleiben jedoch deutlich kleiner als ihre „Flachland-Verwandten“.

Quelle

Christian Steiner (Europäisches Bodenbündnis)