Der Milchkurswagen von Annaberg

Aus Landschaftsgeschichten
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G'schichtl

Die landwirtschaftlichen Rohstoffe wurden in früheren Zeiten im Nahbereich ihrer Produktion auch weiterverarbeitet. So gab es im Mostviertel bis in die 1990er Jahre zahlreiche kleine selbständige Molkereien.

Eine dieser kleinen Molkereien war die Molkerei Ober-Grafendorf, die eine Außenstelle in der Gemeinde Annaberg im Ortsteil Reith hatte.

Die Milch aus Annaberg wurde täglich mit der Mariazellerbahn nach Ober-Grafendorf gebracht. Dafür gab es einen eigenen Milchkurswagen, dieser Milchkurswagen war ein dreiachsiger gedeckter Güterwagen, der in der Früh mit dem ersten Güterzug, später mit dem Postzug, zum Bahnhof Annaberg gebracht wurde und um die Mittagszeit, beladen mit den Milchkannen, mit dem Personenzug wieder zurück nach Ober-Grafendorf ging.

War der Milchkurswagen an sich schon eine Besonderheit, so war das ganz Besondere daran der tägliche Handverschub um die Mittagszeit. Um langwierige Verschubfahrten mit dem Personenzug zu vermeiden, wurde der Milchkurswagen von Bahnhofspersonal und Schaffner mit Muskelkraft vom Ladegleis auf das Hauptgleis und an den Zugschluss des Zuges geschoben.

Am 1. Juni 1988 wurde dieser Milchkurswagen zwischen Ober-Grafendorf und Annaberg eingestellt. Die Molkerei Ober-Grafendorf bestand noch bis 1994 und ist später in der NÖM AG aufgegangen.

Zielgruppe

Eisenbahnfreunde

Botschaft

Die Bahn hat früher nahezu alles transportiert, heute gibt es auf der Mariazelllerbahn nur mehr Personenverkehr.

Die Milchproduktion in der Region ist in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen, die Milch der noch verbliebenen Produzenten wird nun mit LKW durch das halbe Land zur einzigen verbliebenen Großmolkerei transportiert.

Zusatz-Info

Zuletzt war der Milchkurswagen ein geschlossener Güterwagen der Bauart Gmh/s und sogar als solcher beschriftet.

Milchtransporte waren auf allen Bahnstrecken üblich an denen Molkereien lagen. Für größere Molkereien gab es sogar eigene Milch-Kesselwagen.

Es ist gar nicht so schwer einen 6 Tonnen schweren Güterwagen nur mit Muskelkraft in Bewegung zu versetzen. Der Verfasser hat das selbst ausprobiert und war erstaunt wie einfach das geht.

Der Handverschub war deshalb schneller und einfacher, weil sonst der ganze Zug aus dem Bahnhof ausfahren hätte müssen, dann zurückschieben auf das Ladegleis, den Milchkurswagen ankuppeln und wieder hinaus und zurückschieben auf das Hauptgleis, da eine Abfahrt des Personenzuges vom Ladegleis nicht erlaubt ist.

Quelle

Verfasst von Peter Neuhauser

Felsinger, Horst; Schober, Walter: Die Mariazellerbahn. Wien 2002